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06228 Zeiterfassung – rechtliche, organisatorische und technische Anforderungen

Der EuGH hat am 14.05.19 geurteilt, dass Arbeitgeber ihren Mitarbeitern ein System zur Erfassung von Arbeitszeiten zur Verfügung stellen müssen, mit dem alle Arbeitszeiten erfasst werden können. Dieses System soll objektiv, verlässlich und zugänglich sein. Aus dem Urteil ergibt sich eine Reihe von Fragen, die der Beitrag beantwortet:
Welche Relevanz hat dieses Urteil für Unternehmen und welche Anforderungen ergeben sich konkret?
Welche organisatorischen und technischen Möglichkeiten bieten sich Unternehmen, die Anforderungen zu erfüllen?
Wie können Unternehmen prüfen, ob sie die Anforderungen des Urteils bereits erfüllen oder ob sie ihre Erfassungsmethoden anpassen müssen?
Worauf sollten Unternehmen achten, wenn sie vor der Entscheidung stehen, ein Zeiterfassungssystem einzuführen?
Die mitgelieferte Excel-Tabelle hilft dabei, die relevanten Kriterien zu identifizieren, zu erfassen und die Bewertung zu dokumentieren.
Arbeitshilfen:
von:

1 Umfassende Zeiterfassung nach dem EuGH-Urteil

Am 14. Mai 2019 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Urteil die Anforderungen an Arbeitszeiterfassung neu definiert. Auch wenn das Urteil noch im deutschen Arbeitsrecht verankert werden muss, ist bereits erkennbar, dass viele Unternehmen ihre Regeln, Methoden und Anwendungen zur Zeiterfassung anpassen müssen.
Aktuelle Rechtslage
Nachdem eine spanische Gewerkschaft darauf geklagt hatte, eine spanische Tochter der Deutschen Bank zur Einführung einer Arbeitszeiterfassung zu verpflichten, musste schließlich der Europäische Gerichtshof entscheiden. Er urteilte, dass alle Mitgliedstaaten der EU die Arbeitgeber zu verpflichten haben, Systeme zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit zu nutzen. In Deutschland waren bislang das Arbeitszeitgesetz und das Mindestlohngesetz die wesentlichen gesetzlichen Grundlagen, aus denen sich eine Pflicht zur Erfassung von Arbeitszeiten ergab. Eine große Zahl von Beschäftigten war deshalb von der gesetzlichen Pflicht zur Arbeitszeiterfassung bislang nicht betroffen.
Arbeitszeitgesetz
Im deutschen Arbeitszeitgesetz heißt es in § 16, Satz 2: „Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die über die werktägliche Arbeitszeit des § 3 Satz 1 hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen und ein Verzeichnis der Arbeitnehmer zu führen, die in eine Verlängerung der Arbeitszeit gemäß § 7 Abs. 7 eingewilligt haben. Die Nachweise sind mindestens zwei Jahre aufzubewahren.”
Bisherige Praxis
Der Arbeitgeber hat nach dieser Vorschrift jede über 8 Stunden hinausgehende Arbeitszeit aufzuzeichnen. Die Beschränkung der Aufzeichnungspflicht auf die Fälle, in denen mehr als 8 Stunden gearbeitet wird, hat zur Folge, dass der Arbeitgeber über die Arbeitnehmer, die diese Grenze in der Regel nicht überschreiten, Arbeitszeitnachweise nicht führen muss. Diese aktuelle Praxis der Zeiterfassung nach spanischer Gesetzeslage (die weitgehend der deutschen Rechtslage entspricht) hat der EuGH als ungeeignet bewertet. Die Kernsätze der gerichtlichen Pressemitteilung lauten:
Aktuelles Urteil
Das Urteil: „. . .ohne ein System, mit dem die tägliche Arbeitszeit eines jeden Arbeitnehmers gemessen werden kann, kann weder die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden und ihre zeitliche Verteilung noch die Zahl der Überstunden objektiv und verlässlich ermittelt werden, sodass es für die Arbeitnehmer äußerst schwierig oder gar praktisch unmöglich ist, ihre Rechte durchzusetzen … Dagegen bietet ein Arbeitszeiterfassungssystem den Arbeitnehmern ein besonders wirksames Mittel, einfach zu objektiven und verlässlichen Daten über die tatsächlich geleistete Arbeitszeit zu gelangen …”
Schlussfolgerung
Die Schlussfolgerung des Gerichts lautet: „Um die nützliche Wirkung der von der Arbeitszeitrichtlinie und der Charta verliehenen Rechte zu gewährleisten, müssen die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber daher verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.”
Freie Wahl der Mittel
Dabei verlangt das Urteil ausdrücklich keine informationstechnische Umsetzung, sondern spricht von einem Mittel „zur Erfassung der Arbeitszeit, das eine einfache Aufzeichnung in Papierform, in elektronischer Form oder [einem anderen] Instrument, sofern es für das Ziel geeignet ist”. Im Folgenden werden wir deshalb anstelle des im Urteil verwendeten Begriffs „System” auch den Begriff „Verfahren” verwenden.
Das Urteil zwingt zu einer Anpassung des deutschen Arbeitszeitgesetzes, auch wenn die Diskussion über den Änderungsbedarf auf politischer Ebene noch läuft. Für Unternehmen stellt sich damit die Frage, wie sie ihre Zeiterfassungspraxis an die neue Rechtslage anpassen müssen. Diese Frage berührt technische, rechtliche und organisatorische Themen.
Erfassungssysteme
Die Zeit der Stech- und Stempeluhren ist vorbei. Heutzutage melden sich Arbeitnehmer mit RFID- oder Magnetkarten oder anderen geeigneten Identifikationsmerkmalen an Zeiterfassungsterminals an. Die Zeitstempel werden auf dem Terminal, einem Server im Haus oder in der Cloud gespeichert. Für mobile Arbeitsplätze gibt es Terminals für das Auto und die Baustelle sowie Apps für Smartphones. Die Daten werden auf den Geräten gespeichert und später via Docking-Station übertragen oder online auf Server übertragen.
Vielfalt von Systemen
Es gibt Hunderte von Lösungen zur Zeiterfassung. In „Wer liefert Was?” [1] ergibt der Suchbegriff „Zeiterfassungssysteme” fast 400 Treffer. Und Google Play, der Appstore für Android-Smartphones, bietet mehr als 120 Apps für die „mobile Zeiterfassung” an [2]. Spätestens seit der Einführung der ersten mobilen Zeiterfassung im Jahre 2004 ist die ortsunabhängige und umfassende Zeiterfassung Stand der Technik [3].
Rechtskonforme Erfassungssysteme?
Die Herausforderung besteht in der Auswahl derjenigen Zeiterfassungslösung, die für den eigenen Betrieb geeignet ist. Angesichts der zu erwartenden Anforderungen an die umfassende Zeiterfassung, wie sie der EuGH formuliert hat, wird die Zahl der geeigneten Zeiterfassungssysteme und Apps drastisch reduziert. Nur eine Minderheit der Systeme und Apps wird diese Anforderungen erfüllen können. Im Folgenden werden die wesentlichen Anforderungen an rechtskonforme Zeiterfassungslösungen und Umsetzungsmöglichkeiten beschrieben.

2 Rechtliche Anforderungen an eine Zeiterfassung

Der Europäische Gerichtshof fordert in seinem Urteil ein
objektives,
verlässliches und
zugängliches
System oder Verfahren, mit dem die geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Dabei werden keinerlei Aussagen über die zu verwendende Technologie oder bestimmte Medien getroffen. Wem es beispielsweise gelingt, die Arbeitszeiten handschriftlich zu erfassen und dabei Objektivität, Verlässlichkeit, Zugänglichkeit und datenschutzrechtliche Unbedenklichkeit zu gewährleisten, der kann auch Stundenzettel verwenden. Dennoch werden sich die meisten Unternehmen für eine digitale Lösung entscheiden – sie ist gegenüber der aufwendigen manuellen Erfassung und Auswertung einfach viel wirtschaftlicher.

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